Wir haben in diversen ITMC-Blogbeiträgen (z.B. Motorator) immer wieder betont, dass die Enterprise Architektur eine wichtige Rolle beim Alignment der operativen Tätigkeiten mit der Strategie von Unternehmen spielt. Wir nennen das auch ST-AR (Strategy – Architecture), die Schnittstelle zwischen Strategie und EA. Heute geht es darum, die Inhalte der EA genauer zu beleuchten: Hier gibt es nach unserer Erfahrung nur eine endliche Zahl konkreter Stossrichtungen – diese Erkenntnis kann den Aufbau einer EA-Praxis stark beschleunigen.

Wir sind sehr stolz, diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit Stephan Murer veröffentlichen zu können. Die Idee und auch der Begriff „Stossrichtung“ kommt von Stephan. Wir haben die hier gezeigten Themen bei einem gemeinsamen Projekt für ein Stromversorgungsunternehmen in der Praxis bearbeitet. Die Stossrichtungen sind aber allgemeingültig.

Modellieren lässt sich so ziemlich alles. Aber bei der Enterprise Architektur gibt es unserer Erfahrung nach nur eine endliche Zahl sehr konkreter Stossrichtungen, die Business-Nutzen versprechen:

Tabelle Stossrichtungen in der IT Strategie

In jeder Stossrichtung gibt es ein dreistufiges Vorgehen. Von einer Etablierung einer (ausreichend korrekten und umfassenden) IST-Sicht, über eine spezifische Analyse hin zur SOLL-Sicht. Oft entsteht ein gewisser Nutzen schon im ersten Schritt (vor allem dann, wenn zuvor eine allgemein akzeptierte Übersicht gefehlt hat).

Enterprise Architektur auf den Punkt gebracht

Dazu nun drei sehr wesentliche Punkte.

Erstens: Fokus auf Stossrichtungen und iteratives Vorgehen

Man kann nicht alles gleichzeitig machen. Ein Fokus auf eine oder höchstens zwei Stossrichtungen zur gleichen Zeit ist sinnvoll. Aber mit welcher starten? Das hängt einerseits von den geschäftlichen Prioritäten ab, andererseits aber auch von den vorhandenen EA-Fähigkeiten.

Die Digitalisierung der Geschäftsprozesse ist, als Beispiel, eine Königsdisziplin. Hier ist potentiell sehr grosser Nutzen zu erzielen. Das Business wird die Botschaft «EA hilft, Prozesse zu optimieren und digitale Prozesse neu zu gestalten» lieben. Aber – Hand aufs Herz – ist die EA auch in der Lage, das zu liefern? Sind die Grundlagen da für eine umfassende Sicht auf Prozesse? In aller Regel ist ein Start mit dem Applikationsportfolio und ggf. mit Technologien sinnvoller. Hier können die notwendigen Fähigkeiten (zum Beispiel: Tools, Modellierungs-Knowhow) erst einmal in einem begrenzten Rahmen aufgebaut werden; und dabei wird durchaus schon Nutzen geschaffen.

Ganz entscheidend ist aber, gerade bei der Rechtfertigung der Aufwände für EA, nicht das Blaue vom Himmel zu versprechen. Ein klarer Fokus auf Stossrichtungen kann helfen, den Nutzen und auch den notwendigen Aufwand konkret zu benennen (und dann auch entsprechend zu liefern).

Zweitens: Kollaborativer Ansatz – EA als «Verbinder», nicht als «Bestimmer»

Wie – insbesondere am Beispiel der Stossrichtungen «Projektportfolio», «Geschäftsprozesse», aber auch «Compliance, Sicherheit, Risiken» deutlich wird – bewegt sich die EA hier potentiell auf «fremden Terrain». Das sind ja alles Felder für die es, mindestens in den grösseren Unternehmen, schon dedizierte Verantwortlichkeiten, Organisationseinheiten, Tools geben wird.

Es geht hier nicht darum, dies in Frage zu stellen. Trotzdem muss eine EA, die den Namen verdient, den Anspruch haben auch diese Aspekte mit einzubeziehen und vor allem in Relation mit anderen Aspekten zu setzen.

Dieses In-Relation-Setzen ist vielleicht die wichtigste Aufgabe der EA. Also (wie in dem in der Einleitung zitierten Artikel) als «Motorator» auftreten und den Dialog zwischen den unterschiedlichen Sichtweisen verschiedener Spezialisten zu vermitteln. Das wird immer wichtiger, da heute im Zuge der steigenden Komplexität und der Spezialisierung der Disziplinen der Zusammenhang leicht verloren geht.

In dem Zusammenhang noch ein Wort zu Tools (siehe hier auch den Blogbeitrag http://itmc.ch/soll-der-enterprise-architekt-von-heute-noch-modellieren): Es geht weniger darum, alles «von scratch» zu modellieren – sondern eher darum, Informationen (die ggf. schon in anderen Tools primär vorhanden sind) zu vernetzen. Also Vernetzung des Applikationsportfolios mit Technologien (CMDB?) und Projekten (Projektportfolio-Tool) und Security-Controls (Risk Management Tool). Durchgängigkeit der Daten erhöht die Qualität, senkt die Kosten, und schafft die Voraussetzungen für einen Dialog.

Drittens: Unternehmens-spezifische Modellierung im Detail

Die o.g. Stossrichtungen können in Form von Modellen dargestellt werden. Der verbreitete (und immer beliebtere) Standard Archimate erlaubt etwa die Modellierung der für alle Stossrichtungen relevanten Entitäten (Applikationen, Technologien, Daten, Prozesse, Projekte…).

Aber Archimate ist kein Allheilmittel und für sich allein keine Lösung. Es braucht eine sinnvolle Einschränkung der (zu) vielfältigen Möglichkeiten der Modellierung; und es braucht eine Konkretisierung abstrakter Entitäten (z.B. Businessobjekt, Anlage) auf die konkreten Gegebenheiten eines Unternehmens. Wenn man dieses Mapping machen kann, dann erhält man eine geeignete und für alle Stakeholder verständliche Sprache für die (bildliche, modellhafte) Darstellung von Zusammenhängen in den o.g. Stossrichtungen. Man kann das dann auch eine «domain-specific language» nennen.

Die Herausforderungen bei der Modellierung im Detail sind zahlreich; und trotz des sehr breiten Angebots an Tools gibt es wohl keine optimale (und immer passende) Lösung. Um so wichtiger ist eine «gemeinsame Sprache», die einen Austausch im Unternehmen zwischen den Spezialisten verschiedener Disziplinen ermöglicht. Es klingt trivial, aber genau sagen zu können «Was ist eine Applikation im Unternehmen X?», «Was ist ein Geschäftsprozess?», «Was ist ein Security Control?», das allein ist schon eine grosse Herausforderung für die EA.

Fazit: Stossrichtungen nutzen, über die Inhalte und den geschäftlichen Nutzen von EA reden, und eine gemeinsame Sprache für den Austausch über die Grenzen der Fachdisziplinen hinweg schaffen. Enterprise Architekten, an die Arbeit!

Beim in der Einleitung genannten Stromversorgungsunternehmen ist übrigens u.a. die Stossrichtung „Daten und deren Nutzung“ priorisiert worden. Also ein recht komplexes Thema im ersten Schritt. Dies kam daher, da hier wirklich konkreter Nutzen für das Business plausibel gemacht werden konnte. Die Stossrichtung „Applikationsportfolio“ dann parallel in der Umsetzung, da der Bezug von Daten zu Applikationen notwendig ist.

Autoren
Thomas Rischbeck
Dr. Thomas Rischbeck
Begleitung von Unternehmen in der Digitalen Welt
Philipp Hoernes
Dr. Philipp Hoernes
Strategischer Einsatz von IT für Business-Nutzen

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